… und weiter geht die Reise

Feodor ist bestimmt nicht gefragt worden, ob er nach Deutschland wollte. Ein Page wird nicht gefragt, was er möchte; ein Page gehört der Herrschaft. Und so kommt Feodor mit ungefähr acht Jahren über das zaristische St. Petersburg an den Karlsruher Hof.

Das Karlsruher Schloss

Aber Markgraf Carl Friedrich, ein aufgeklärter Fürst, tut etwas sehr Kluges: Er entlässt das Kind aus dem Pagendienst und schickt es im Sommer 1776 an eine für die damalige Zeit außerordentlich fortschrittliche Schule, an das Philanthropin im Schloss Marschlins in Graubünden.

Ich versuche, mich an Feodors Stelle zu versetzen. Was geht wohl in ihm vor, während er gemeinsam mit drei anderen badischen Zöglingen und einem Erzieher in der harten unbequemen Postkutsche sitzt und draußen die Landschaft an ihm vorüberzieht? Ist die Reise für ihn ein Abenteuer, oder hatte er Angst vor dem, was auf ihn zukommt?

Langsam rücken sie näher, die verschneiten Gipfel. Fast bedrohlich wirken sie auf den, der sie zum ersten Mal sieht. Und die Kutsche rollt. Noch malt Feodor nicht. Er wird auch als Erwachsener keine Landschaften malen oder zeichnen.

Er wird Menschen aufs Papier bringen, seinen Freund Weinbrenner, den späteren badischen Oberbaudirektor, auf einer Leiter balancierend, andere beim Malen oder in einer Taverne. Er wird Gesichter festhalten, Trachten. Der Faltenwurf der Kleidung, die Knicke in den Kniebeugen der Hosen sind genauso prächtig gefältelt wie das Bergmassiv, das er von Schloss Marschlins aus von nun an jeden Tag sehen wird.

Auf dem Weg ins Hinterrheintal

Es ist nicht mehr weit bis zum Schloss. Noch schwingen sich keine Elektrokabel von Pfeiler zu Pfeiler durch das Land, noch gibt es keine Windräder. Aber der Fluss, an dem sie jetzt entlangfahren, ist der gleiche, den er in der Nähe von Karlsruhe gesehen haben dürfte: Der Rhein, er kommt von dieser Gegend, wird der Erzieher den jungen Zöglingen erklären.
(aus meinen Reisenotizen)

Ich weiß nicht, ob die Postkutsche die kleine Gesellschaft bis zum Schlosseingang gebracht hat. Wahrscheinlich nicht. Ich vermute, dass die Kinder die letzte Strecke, vielleicht ab Landquart, zu Fuß gehen mussten. Mir hat ein alter Mann den Weg gezeigt: Immer dort entlang, bis zum Waldrand, Sie werden es dann schon sehen. Und so ist es, plötzlich liegt Schloss Marschlins vor mir, unverkennbar mit seinen vier Türmen, an jeder Ecke einer. Am nächsten Tag werde ich im Staatsarchiv Graubünden sitzen, in die untergegangene Welt des Philanthropins eintauchen, Feodor beim Lernen und Spielen begleiten und von einem Mord lesen, der den Jungen erschüttert haben dürfte.

Schloss Marschlins nördlich von Chur | Alle Fotos: Petra Reategui

1791 wird Feodor noch einmal in die Schweiz kommen. Vielleicht besucht er alte Freunde und Bekannte, bevor er dann aber neugierig und gespannt sich weiter auf den Weg nach Rom macht.

Hofmaler – Recherche die Erste

War es Zufall oder musste es so sein?
Ich hatte einige Jahre zuvor die Mongolei bereist, hatte in Gers, in Jurten, übernachtet, den Männern beim Tränken der Schafe an den Brunnen zugeschaut, den Frauen beim Melken ihrer Kamele.

– Gibt es große Unterschiede zwischen den traditionellen Lebensweisen von Mongolen und Kalmücken, fragte ich jetzt, wo ich Feodor nachzuspüren versuchte, eine junge Kalmückin, die ich in Deutschland traf.

– Nein, meinte sie, was du dort gesehen hast, wird dir helfen, das Buch über den Kalmücken Feodor zu schreiben. Und ich erinnere mich …

Geruch wie von wildem Thymian im unendlich weiten Land, am Horizont die dunstige Silhouette der Berge. Manchmal kommen sie näher, manchmal rücken sie vor den Reisenden zurück. Über uns der hohe Himmel von stählernem Blau, nur hin und wieder Wolkenungeheuer, weiße Wolken, graue Wolken, graublaue. Wolken über grünen Kuppen ohne Bäume, über steinigen Hängen ohne Sträucher. Wolken, aus denen der Regen fällt, der Hagel. Dann bricht wieder die Sonne durch. Ein Regenbogen reckt sich hinter der Bergkette empor. Und noch einer, leuchtend spannen sie sich über die eine Hälfte des Himmels, verblassen und erreichen weit weg auf der anderen Seite die Ebene. Hinter den Gers spielen Kinder; die Schafsknöchelchen klickern und klackern, wenn sie aneinanderprallen.
(Aus meinem Reisetagebuch)

Die Kalmücken – das einzige buddhistische Volk Europas

Die Kalmücken sind ein westmongolisches Volk, das seit Jahrhunderten westlich der Wolga auf europäischem Boden traditionell als Nomaden lebten und wie andere mongolische Völker tibet-buddhistischen Glaubens sind.
Die heutige Kalmückische Republik oder Kalmückien gehört zu Russland, Hauptstadt ist Elista mit rund 105.000 Einwohnern.

Der Große Tempel in Elista
Der Alte Weiße Mann

So stelle ich mir vor, dass auch Feodor, das kalmückische Nomadenkind, zwischen den Gers mit Freunden gespielt hat. Bis das Spiel eines Tages vorbei war, und Feodor auf eine lange Reise mitgenommen wurde. Unfreiwillig.

Schafsknöchelchen zum Spielen | Fotos: Petra Reategui

Kalt fließt die Mosel

Kalt fließt die Mosel

Historischer Kriminalroman

Köln: Emons Verlag 2023
Originalausgabe | Broschur
ISBN 978-3-7408-1754-1
272 Seiten

€ [D] 14,00 € [A] 14,40
Auch als E-Book erhältlich

… zur Bestellung

1945: Vier Monate nach Kriegsende wird das Moseltal von zwei tragischen Todesfällen erschüttert. Eine Frau stürzt mit ihrem Neugeborenen von einem Berghang, kurz darauf stirbt ein Mann im nahen Steinbruch. Hängen die beiden Fälle zusammen?

»Kalt fließt die Mosel« nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise in die unmittelbare deutsche Nachkriegszeit. Das Land ist von den Nationalsozialisten befreit und der lange Vernichtungskrieg endlich zu Ende, doch das Leben an den Ufern der Mosel ist keineswegs einfach. Im Buch begegnen sich unterschiedliche Charaktere, die im durch Kargheit und Mangel geprägten Alltag verzweifelt versuchen, wieder Fuß zu fassen. Da sind die Hebamme Ello, der Hilfsgendarm Buchheim, ein französischer Besatzungsoffizier und nicht zuletzt der zwischen alle Fronten geratene kalmückische Soldat Sanan aus der weiten Steppe westlich der Wolga – vier Menschen, die das Schicksal in dem Winzerstädtchen Alken unvermutet zusammenführt. Werden sie angesichts der historischen Verbrechen bereit sein, Mauern in den Köpfen einzureißen und Brücken zwischen gestern noch verfeindeten Kulturen zu schlagen?

»Was sich die Besatzer nur dabei gedacht hatten, als sie Beamte wie ihn für den Polizeidienst anheuerten? Die Einführung in den Gendarmeriedienst war denkbar oberflächlich gewesen und vor allem paragrafenlastig. Jede Militärregierung hatte ihre eigenen Vorstellungen von Gesetz und Ordnung. Kaum wusste er die amerikanischen Verwaltungsrichtlinien auswendig, waren die Franzosen mit neuen Vorschriften gekommen, und inzwischen wollten auch deutsche Behörden wieder mitreden. Es ging um Straßenverkehrsordnung und Lebensmittelkontrolle, um Ladenschließzeiten und Angelerlaubnis. Von verdächtigem Gesindel und marodierenden Banden, die in Bachtälern herumballerten, war nie die Rede gewesen.«

»Und von Dienstwaffen schon gar nicht«, schimpfte Buchheim und fühlte sich einem dunklen Schicksal ausgeliefert.«

Petra Reateguis neuer Roman spielt 1945 an der Mosel und in der weiten Steppe zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer.

Veröffentlicht unter Romane

Der Grenadier und der stille Tod

Der Grenadier und der stille Tod

Historischer Kriminalroman

Köln: Emons Verlag 2020
ISBN 978-3-7408-0921-8
272 Seiten

€ [D] 13,00 € [A] 13,40
Auch als E-Book erhältlich

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Januar 1772. Halb Karlsruhe verfolgt die Hinrichtung einer Kindsmörderin. Auch Straßenfeger Ignatz ist dabei, dem das Geschehen unter die Haut geht. Kurz darauf wird ein Soldat des badischen Leibgrenadierregiments erschlagen. Für Major von Sandberg ist die Sache klar: Raubmord. Als Täter kommt niemand anderes als der Straßenfeger in Frage. Doch das Verhör endet in einem Fiasko – Ignatz scheint weder hören noch sprechen zu können.

Auch wenn es die Begriffe im 18. Jahrhundert noch nicht gegeben hat – die Themen, die wir heute als Inklusion, Emanzipation und Migration bezeichnen, haben bereits damals die Gemüter bewegt.

»Ein Weib sprang in das Rund. Ihre Beine stampften, der Rock flog, der Oberkörper drehte und wand sich. Kräftig war die Frau und schön. Bei jedem Schritt schwangen die Haare, die Hände liebkosten die Luft. Da spürte er die Hand der Buckligen auf der seinen. Die Alte sah ihn nicht an, aber ihre Finger hämmerten auf seinem Handrücken. Toc‑to-to-tocto-to-toctoctoc, trommelten sie, rhythmisch, aufpeitschend. Die Berührung durchflutete ihn und riss ihn mit wie damals die Schwingungen im Feierlichen Haus, bevor die Mutter ihn geschlagen hatte und er davongelaufen war. Jetzt ließ er sich fallen in die Melodie der Finger, ergab sich dem Rausch des scharfen Wassers in seinem Becher, den Wellen, die seinen Körper erfassten.«

»Sie wollte eine patzige Antwort geben, aber auf Deutsch fehlten ihr die Worte, was sie nur umso wütender machte. Nie würde sie hierhergehören, nie. Immer blieb sie ausgeschlossen. Verstand nichts und wusste sich nicht auszudrücken. Und wer war schuld daran? Die Maïre und die Nonno, alle diese Alten in Palmbach, die sich weigerten, die neue Sprache zu lernen.«

Wie sind Sie auf den Stoff gestoßen?

Auszug aus der Akte Catharina Würbsin des Generallandesarchiv Karlsruhe, GLA 206/3179 | Beginn des Verhörs der Beschuldigten am 27. November 1771
Veröffentlicht unter Romane

Il profumo rubato

Il profumo rubato

Le misteriose origini dell’Eau de Cologne
emons: gialli tedeschi 2018
Traduzione: Anna Carbone
ISBN 9783740804886

Euro 13,50

Colonia 1737. Il geniale inventore del profumo detto Aqua mirabilis Giovanni Paolo Feminis e sua figlia muoiono a pochi mesi l’uno dall’altra. Paolo Luciano Dalmonte, loro amico e conterraneo, assieme alla comunità di famiglie italiane che vivono da tempo a Colonia, non si danno pace, agitati da un tremendo sospetto. Fra loro c’è anche un giornalista della Gazette de Cologne, che una notte resterà vittima di una brutale aggressione dopo aver lanciato pubblicamente pesanti accuse contro Giovanni Maria Farina, produttore di una fragranza molto simile. Nel frattempo la fiorente ditta di spedizioni di Dalmonte è bersagliata da una serie di furti insoliti che mettono in fuga i clienti e insospettiscono Anna, giovane contabile e braccio destro dello spedizioniere: sarà lei a correre ai ripari cominciando a indagare…

Si chiama Eau de Cologne, ma l’origine di questo profumo non è né francese né tedesca: a inventarlo furono infatti due italiani originari della Valle Vigezzo, terra dura, di spazzacamini, che partirono ragazzi per la Germania e fecero fortuna producendo quella che in origine si chiamava Aqua mirabilis.

»Il profumo dell’Aqua mirabilis le pungeva ancora le narici. Neroli! Bergamotto! Forse anche un poco di lavanda?«

Se volete saperne di più (in tedesco)

Spazzacamini di molti paesi europei a Santa Maria Maggiore nella Valle Vigezzo durante uno degli famosi raduni internazionali dello spazzacamino

Hofmaler. Das gestohlene Leben des Feodor Ivannoff

Hofmaler. Das gestohlene Leben des Feodor Ivannoff

Romanbiografie

Triglyph Verlag, Bad Saulgau 2017
400 Seiten, mit 16 farbigen Bildtafeln
ISBN 978-3-944258-07-2

Rechte bei und Verkauf über die Autorin oder

Bestellung über Buchhandlung im Maifeld

Was für ein Leben! Seiner Muttersprache beraubt, seinen Eltern entrissen, nicht einmal seines richtigen Namens entsann er sich. Der kalmückische Nomadenjunge, der Katharina der Großen in Petersburg als exotischer Page dienen musste, wurde nach Aufenthalten in Rom, Athen und London ein berühmter Künstler. Doch obwohl er zum Hofmaler des badischen Hofs zu Karlsruhe ernannt wurde, blieb er stets auch Außenseiter.

„Petra Reategui schreibt atmosphärisch, mit allen Sinnen.
Man riecht, schmeckt, sieht und hört die Geschichte von Feodor.“
Oliver Grimm, SWR 4 vom 17.11.2017

»Es fällt ihm schwer, sich die Tage hinter der Jurte ins Gedächtnis zurückzurufen. Kaum kommt ihm ein Bild vor Augen, zerrinnt es wieder, lösen sich die Gesichter auf, zerfließt die Landschaft, verwischen die Farben, die es bestimmt gegeben hatte, zu einem grauen Gemenge. Aber da ist auch das Summen der Luft, an das er sich erinnert, das Raunen der Grasbüschel, durch die der Wind fährt, die Arme, die das Kind wiegen und zwischen den Zelten umhertragen. Und vor allem ist da der Geruch von gekochtem Fleisch. Hammelfleisch. Oder von einem jungen Schaf.«

»Es ist immer dasselbe mit Ihnen, Feodor. … Sie sind einer der besten Zeichner unserer Zeit. Sie erfassen Raffael so gut, dass der Geist dieses göttlichen Italieners in den Copien lebt, die Sie von seinen Werken machen. … keiner beherrscht Stift und Kreide besser. Und doch trauen Sie sich immer viel zu wenig zu. Wollen Sie mir mal bitte erklären, warum?«

Ein Buch von Fremdheit und Nähe, Angst und Aufklärung, Grenzen und Offenheit. Eine unglaubliche und doch wahre Geschichte.

Leseprobe und Rezensionen in Deutsch und Russisch
(mit freundlicher Genehmigung des Triglyph Verlags)

Der „Kalmück“ geisterte durch meine Kindheit in Karlsruhe. Betonung, bitte schön, auf der ersten Silbe: Kálmück, gut badisch eben. Aber ich hätte damals nicht sagen können, wer der Kalmück war. Erst viele Jahre später, während meiner Recherchen für den historischen Kriminalroman „Weinbrenners Schatten“, bin ich ihm wieder begegnet, diesem badischen Hofmaler, Figuren- und Portraitzeichner kalmückischer Herkunft.

Seither hat mich Feodor nicht mehr losgelassen; ich bin ihm gefolgt von seinen ersten Lebensjahren in der großen Steppe westlich der Wolga, nördlich des Kaspischen Meers bis zu seinen letzten Tagen in Karlsruhe. Von Ort zu Ort …, folgen Sie mir:

Feodor Ivannoff, ca. 1824 , geboren um 1766, gestorben am 27. Januar 1832
Veröffentlicht unter Romane

Weinbrenners Schatten

Weinbrenners Schatten

Historischer Kriminalroman

Emons Verlag, Köln 2014
ca. 336 Seiten
ISBN 978-3-95451-429-8

Euro 11,90 [D], 12,30 [AT]

… zur Bestellung

Karlsruhe 1817. Oberbaudirektor Friedrich Weinbrenner ist auf der Höhe seines beruflichen Erfolgs: Die junge barocke Residenz entwickelt sich zu einer Hauptstadt des Klassizismus. Doch als ein Bäcker aus dem „Dörfle“, dessen Tochter im Hause Weinbrenner in Stellung ist, tot aufgefunden und kurz darauf ein Gastwirt ermordet wird, mit dem Weinbrenner Streit hatte, muss der bekannte Architekt um seinen Ruf fürchten.

»Der Tag war eisig. In abgelegenen Winkeln und entlang der Häuser klebten schmutzige Schneehaufen. Über den Dächern des Markgräflich-Hochbergschen Palais am Rondell stand grau die Märzsonne und hüllte die Schlossstraße in fahles Licht. Auf den schwarzen Wassern des Landgrabens am Rande des Markts trieben Zweige und geborstene Latten, Reste eines Sacks, Papierfetzen, der aufgeblähte Körper einer toten Katze. Ein roter Stoffball wogte auf und ab, bevor er kreiselnd unter der steinernen Straßendecke verschwand, die den Kanal die ganze Breite des Platzes überspannte.«

»Die Krempe des Huts hing dem Fremden tief ins Gesicht, der Architekt ahnte es mehr, als dass er es erkennen konnte. Schmal war es, die Augen dunkle Löcher, lauernd. Um den Hals trug der Mann einen Schal, der auch das Kinn verdeckte und gerade noch den Mund frei ließ, einen dünnen Mund mit blau gefrorenen Lippen. Die Hände hielt er in seinem weiten Rock vergraben.«

»Ich habe es schon Ihrem Schüler gesagt, Sie werden noch von mir hören, Weinbrenner.« … Und dann war der dunkle Gesell verschwunden, als hätte sich die Erde geöffnet.«

Ein Roman über Karlsruhe und den großen Architekten der Fächerstadt. Eine Geschichte um Erfolge, Missgunst und Versagungsängste, um Liebe, Hoffnung und den Wunsch der kleinen Leute nach einem besseren Leben.

»In der Langen Straße sind die Haseküchle besser, in der Waldhorngasse die Rehkeule mit den gedämpften Äpfeln.«

„Wer in Karlsruhe aufgewachsen ist, hat den Namen Weinbrenner mit der Muttermilch aufgesogen.”

Haben Sie Appetit bekommen? Auf das Buch? Auf Haseküchle und Rehkeule? Auf Karlsruhe?

Mehr über den Architekten Friedrich Weinbrenner erfahren Sie auch bei der Karlsruher Friedrich-Weinbrenner-Gesellschaft erfahren.

Friedrich Weinbrenner
Veröffentlicht unter Romane

Weinbrenners Karlsruhe

Karlsruher Münzstätte
(Foto: Petra Reategui)

“Wer in Karlsruhe aufgewachsen ist, hat den Namen Weinbrenner mit der Muttermilch aufgesogen.”

So hat es mir einmal eine Frau erzählt, die ich bei einer meiner Recherchen vor Ort kennengelernt habe.

Auch mir war Weinbrenner in meiner Schulzeit allgegenwärtig. Bei meinen häufigen Besuchen in der Stadtbücherei, die damals noch am Marktplatz lag. Beim Anblick der Pyramide, des Rathauses und der Evangelischen Stadtkirche. Und wieder auf dem Nachhauseweg, wenn ich an der Staatlichen Münze in der Stephanienstraße vorbeikam. Ich habe dieses Weinbrenner-Gebäude mit seiner warmen Sandsteinfassade schon als Kind gemocht.

Der Karlsruher Architekt und Stadtplaner Friedrich Weinbrenner (1766 – 1826) und seine Bauten sind nicht das Einzige, das mir von meiner Heimatstadt in bleibender Erinnerung ist. Unvergesslich sind die Spaziergänge zum Schloss, vorbei am großen Teich mit Karpfen „Oskar“, die Fahrradtouren durch den Hardtwald, die imposante Stephanskirche, der Ludwigplatz mit seinem bunten Treiben rund um den Weinbrenner-Brunnen und das ehemalige „Krokodil“ an der Ecke Blumenstraße, in das meine Großmutter, die in eben diesem wundervoll stuckverzierten Haus wohnte, mich manchmal nach der Schule zu Bratwürschtle mit Rotkraut einlud. Und an fast jeder Straßenecke in der Innenstadt war – und ist natürlich noch immer – der Schlossturm zu sehen.

Und dann gab es da noch das Dörfle. Es fing irgendwo hinterm Marktplatz an, aber ein unausgesprochenes Familiengesetz, wahrscheinlich stillschweigend von Generation zu Generation weitergegeben, hielt mich davon ab, jemals dorthin zu gehen. Mein Kinder-Karlsruhe reichte immer nur von der Weststadt bis zur Pyramide. Doch eines Tages war das Dörfle verschwunden, zumindest jenes, das zu betreten in meiner Jugend Mütter ihren Töchtern verboten hatten. Jetzt gibt es ein „bereinigtes“ Dörfle, durch das wohlbehütete junge Mädchen aus gutem Hause bummeln können, ohne dass ihr Ruf in Gefahr gerät. Mit der Flächensanierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwanden etliche Straßen, Gassen und dunkle Winkel, eine

breite Verkehrsachse wurde rüde durch das alte Viertel gebrochen, und doch kann der Besucher noch hier und da kleine Häuser, Straßenzeilen, Plätze und Ecken entdecken, die eine Ahnung von früher vermitteln. Von der Zeit der Barbara Hemmerdinger aus meinem Roman, als diese mitnichten immer nur die viel gepriesene gute, alte war.Vielleicht waren diese Veränderungen der Grund, dass ich ein Buch schreiben wollte, das in Karlsruhe spielt und von den Menschen erzählt, die einmal in dieser Stadt gelebt und sie geprägt haben. Allen voran von Weinbrenner, dem leidenschaftlichen Baumeister, der Bewunderung hervorrief, aber auch aneckte. Von Zeitgenossen wie den fast vergessenen Hofmaler Feodor Iwannoff, genannt Kalmück, und Sophie Reinhard, von Tulla, der den Rhein begradigte, und Drais, dem wir den Vorläufer des Fahrrads verdanken. Und eben vom Dörfle und seinen Bewohnern.

Karlsruhe ist ein junge Stadt. 2015 feierte sie ihren 300. Geburtstag. Vieles, insbesondere das Schloss und seine Umgebung, erstrahlt seither in neuem Glanz. Gehen Sie auf Entdeckungstour, es lohnt sich.

..UND WIE WAR DAS NUN MIT DEN HASEKÜCHLE UND DER REHKEULE?

In „Weinbrenners Schatten“ wird viel und gern gegessen, mal raffiniert, mal einfacher. Aber alle Rezepte lassen sich leicht und ohne besonderen Aufwand nachmachen. Kochen Sie, wie Weinbrenners Haushälterin Apolone und Marie, die Köchin vom Goldenen Füllhorn in der Waldhorngasse, gekocht haben! Zum Beispiel:

Schweinebraten mit
»Nägelein und Citronen«

Würzen Sie ein schönes Stück Schweinebraten, zum Beispiel von der Keule oder aus der Schulter (circa 650 Gramm), mit Salz und Pfeffer. Erhitzen Sie in einem Bratentopf ein gutes Stück Butter, braten Sie das Fleisch von allen Seiten kurz an, geben dann klein geschnittene Zitronen (ohne das weiße Fleisch der Schale, gern aber mit etwas abgeriebener Schale) und 4 »Nägelein« (Nelken) hinzu und streuen einen halben Suppenlöffel fein gesiebtes Mehl darüber. Verschließen Sie den Topf mit einem Deckel und lassen Sie das Fleisch bei kleiner Hitze schmoren. Wenn das Fleisch fast gar ist (nach circa 45 Minuten), geben Sie ein Glas Weißwein dazu und lassen alles noch einmal 15–20 Minuten weiterköcheln.

Ist auch am Tag danach noch ein Gedicht.

Am Lidellplatz

Noch mehr historische Rezepte finden Sie im Anhang des Buchs.

GUTEN APPETIT!

Die Entstehung der Moselhochzeit

Münstermaifeld (Foto: Helga Müller-Schwartz)

Recherchen mit einem Gläschen in Ehren

Die Recherche für einen historischen Roman ist alles andere als eine staubtrockene Angelegenheit. Gut, ich habe unzählige Bücher zum Thema gelesen und stundenlang in Archiven gesessen, um alte Dokumente zu studieren. Aber dann bin ich aufs Maifeld und habe dort mit den Menschen gesprochen.

Mit Werner, Karl und Adolf über die Feldarbeit, über Winter- und Sommergetreide, über Aussäen und Ernten, Dengeln, Mähen und Kasten. Sie erzählten mir, wie sie heute arbeiten, und wie ihre Großeltern schuften mussten, als die Mechanisierung der Landwirtschaft noch in den Kinderschuhen steckte. Von Erika lernte ich, dass Krebbelcher keine süßen Krapfen sind, sondern Reibekuchen, Kartoffelpuffer. Mit Lukas besuchte ich den Hof, in dem Joseph damals gelebt hatte, und Reinhold und Alois erklärten mir geduldig, wer auf dem Maifeld mit wem verschwippt, verschwägert, verheiratet oder sonst wie liiert ist und war.

(Foto: Helga Müller-Schwartz)
Tugendpfeil (Foto: Alois Esch)

Und dann zeigten sie mir „Familienschätze“, wie man sie heute fast nur noch in Museen findet – wenn überhaupt: den Hochzeitskranz der Großmutter, Grabschmuck, den man früher zu Allerheiligen auf die Gräber legte, und den Tugendpfeil, den unverheiratete junge Mädchen im Haar trugen und der in „Moselhochzeit“ eine nicht unwichtige Rolle spielt.

Das waren bei weitem nicht alle, mit denen ich redete. Ich kann gar nicht jede und jeden aufzählen, so viele waren es. Oft kamen wir bei Kaffee und Kuchen vom Hölzchen aufs Stöckchen, hier gab’s einen kleinen Hefebrand dazu, dort ein Glas Wein, langweilig war es nie, staubtrocken schon gar nicht. Und Freundschaften sind entstanden.

Ich danke Euch allen dafür.

Moselhochzeit

Moselhochzeit

Historischer Kriminalroman

320 S.,TB; Emons Verlag, Köln 2013
ISBN 978-3-95451-181-5

Euro 11,90 [D], 12,30 [AT]

… zur Bestellung

Das Moseltal im Jahre 1814. Jungbauer Joseph Brachtendorf wird erschlagen aufgefunden. Wurde er das Opfer von französischen Soldaten, die nach Napoleons Niederlage auf ihrem Rückzug von Rhein und Mosel das Maifeld unsicher machen? Doch warum traf er sich heimlich mit dem Fuhrmann aus dem benachbarten protestantischen Winningen, obwohl ein guter Katholik die »Blauköpp« meidet wie der Teufel das Weihwasser? Bei seinen Ermittlungen stößt Friedensrichter Spitzlay aus Münstermaifeld auf eine Wand des Schweigens – und gerät selbst in tödliche Gefahr.

»Er atmete schwer, Angst brach ihm aus allen Poren, unschlüssig blickte er den Weg zurück, den er gekommen war. In der Ferne die Eyfeler Vulkanberge, die Meensderer Stiftskirche am Horizont klein wie ein Spielzeug. Besser, er kehrte um. Da sah er ihn.«

»Zwischen Mauern und Gebälk hörte Spitzlay es knistern und knacken, in der Hitze der Flammen waren die Fenster geborsten, das Feuer hatte den Dachstuhl in ein schwarzes Gerippe verwandelt.«

»Im Lager zog er sich um und ging Elfer suchen. Als er ihn entdeckte, waren ein paar schon dabei, die Grube auszuheben. Was ist mit ihm? Er deutete auf den Freund. Siehst du doch, mausetot. Wäre er aufgestanden, nachdem es ihn niedergestreckt hatte, und weitergelaufen, er würde jetzt auch hier liegen, neben Elfer. Dem hatte es den Unterleib zerfetzt. Tot, mausetot.«

Neugierig geworden?

Die Mosel unterhalb des Maifelds
(Foto: Alois Esch)
Münstermaifeld (Foto: Helga Müller-Schwartz)
Veröffentlicht unter Romane